Ben Gross
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inmitten der Plenarwoche, zu der wir in dieser Woche in Potsdam zusammentraten, um über die steigenden Energiepreise oder die weitere Corona-Politik zu beraten, ereilten uns die schrecklichen Nachrichten aus der Ukraine. Putin hatte einen Angriffskrieg gegen seinen Nachbarn angeordnet. Und während wir debattierten über eigentlich so wichtige Themen, rollten nur wenige hundert Kilometer östlich wieder Panzer und marschierten wieder Soldaten – inmitten Europas. Eine unvorstellbare Situation, eine Zeitenwende, so viel ist sicher. Vieles rückte da plötzlich in den Hintergrund.
Die Landtagsfraktionen verständigten sich nach den ersten Meldungen am Donnerstag morgen auf eine spontane Aussprache zur Situation, in der wir parteiübergreifend und ohne jeden Zweifel Russlands Vorgehen verurteilten und Putin aufforderten, die Waffen niederzulegen. Im Folgenden lesen Sie meinen Wortbeitrag für die Linksfraktion im Landtag Brandenburg in dieser Debatte, verbunden mit dem Aufruf, sich in den nächsten Tagen an lokalen Demonstrationen, Mahnwachen, Kundgebungen, Lichterketten und allen weiteren Aktionen für den Frieden zu beteiligen.
Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dieser 24. Februar 2022 ist ein historischer Tag. Heute sind wir in einer anderen Welt aufgewacht. Auch ich persönlich habe es noch heute Morgen für vollkommen selbstverständlich gehalten, dass wir in Frieden leben. Dass Kinder zur Schule gehen. Dass Menschen arbeiten gehen. Dass Menschen in den Urlaub fahren, sich treffen und in Frieden miteinander leben können. Meine Großmutter hat mir von ihren Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg erzählt. Sie kam aus Dresden, erzählte von der Bombennacht und von der Nachkriegszeit. Wie sie meinen Vater großgezogen hat, der 1944 geboren ist. Ich habe dann immer gedacht, so etwas werde ich Gott sei Dank nicht erleben. Doch während wir hier stehen und reden, explodieren Granaten, fallen Bomben und starten Raketen. Bomben, Granaten und Raketen auf Kinder, auf Eltern, auf Großeltern. Alles, was so undenkbar schien, ist jetzt real. Genau jetzt, in diesem Moment, sterben Menschen. Sie sterben, weil Putin einen Angriffskrieg führt, weil Putin heute Nacht die Ukraine überfallen hat. Weil er in seinem Expansions-Streben dafür sorgen will, dass er mehr Macht bekommt. Es ist die Verantwortung von Putin, diesen Krieg, diesen Militäreinsatz sofort zu beenden, sofort alle Truppen zurückzuziehen und dafür zu sorgen, dass wir wieder in Verhandlungen kommen können, um tatsächlich dauerhaft für Frieden sorgen zu können. Wir wissen noch nicht, was der heutige Tag eigentlich genau bedeutet und was er für die Zukunft bedeuten wird. Was wir aber wissen, ist, dass Menschen sterben. Wir wissen, dass Eltern ihre Töchter und Söhne beweinen werden. Wir wissen, dass Kinder ihre Eltern beweinen werden. Ja, auch ich hatte Fehleinschätzungen in den letzten Wochen und Tagen. Und wissen Sie, in den letzten Tagen habe ich mir ein Gedicht immer wieder in Erinnerung gerufen: "Meinst du, die Russen wollen Krieg? Befrag' die Stille, die da schwieg." Auch russische Söhne werden sterben. Und ich bin mir sehr, sehr sicher, dass diese Russinnen und Russen nicht sterben wollen. Auch sie sind Opfer der demagogischen und kriegerischen Politik Putins. Ich werde in wenigen Wochen Vater eines Sohnes. Ich will, dass mein Sohn in einem friedlichen Europa aufwächst; ich will, dass mein Sohn keine Waffe in die Hand nehmen muss – so wie ich es auch nicht tun musste. Ich will, dass wir alle gemeinsam dafür streiten und klare Zeichen setzen. Auch in dieser dunkelsten Stunde, die wir gerade erleben, geht es darum, dass wir gemeinsam ein Zeichen setzen müssen. Und die Zeichen, die wir setzen können, sind nicht nur Reden hier im Parlament. Lassen Sie uns dafür sorgen, dass wir europaweit auf die Straßen und Plätze gehen und ein deutlich zeigen setzen, dass wir Putins Politik ablehnen und für Frieden streiten werden. Die Mittel, die wir haben, sind auch Demonstrationen, egal ob in Potsdam, Berlin, Paris oder Moskau. Wir müssen diesem Autokraten und dem Regime in Moskau zeigen, dass dieser Krieg nicht der richtige Weg ist. Und wir müssen als Brandenburger deutlich machen, dass wir die Grenzen öffnen, dass wir sichere Fluchtwege schaffen. Dass wir in dieser dunklen Stunde unsere Häuser und Türen, unsere Wohnzimmer öffnen und den Menschen, die vor Krieg fliehen, hier einen Platz geben und ihnen helfen. Das ist das, was wir hier in Brandenburg als allererstes tun können und tun müssen. Sie brauchen unsere Solidarität. Wir dürfen die Ukraine nicht allein lassen.
Die Kinder, die Eltern, die Großeltern und alle anderen in der Ukraine, die gerade Angst haben. Die Angst davor haben, zu sterben; die Angst davor haben, ihre Lieben zu verlieren – wir lassen sie nicht alleine und werden hier die richtigen Mittel finden und die richtigen Entscheidungen treffen. Es bleibt dabei: Nie wieder Krieg.
Vielen Dank!
Ihr
Sebastian Walter (Fraktionsvorsitzender)
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