06. Juli 2023
Newsletter Minderheitenpolitik Nr. X

Liebe Leserinnen und Leser,

in den vergangenen Monaten haben wir uns in bewährter Weise für die in Brandenburg lebenden autochthonen Minderheiten, die Sorben/Wenden und die deutschen Sinti und Roma, sowie für die Regionalsprache Nieder­deutsch (Platt) im Landtag und bei Arbeitskontakten mit Akteurinnen und Akteuren der Minderheitenpolitik eingesetzt. Über parlamentarische Initiativen, in Reden und Presseerklärungen hat DIE LINKE deutlich gemacht, welche Anforderungen sie für die Landespolitik in diesem Politikbereich sieht. Wichtig war uns in diesem Zusammenhang, dass die weitreichenden Beschlüsse des Landtages zu den Regional- und Minderheitensprachen und zur Bekämpfung von Antiziganismus vom 23. Juni 2022 durch die Landesregierung tatsächlich umgesetzt werden.

Dieser Newsletter wird an Kontaktadressen von Vereinen, Einrichtungen und Initiativen geschickt, die auf den jeweiligen Internetseiten öffentlich zu­gänglich sind. Gerne können Sie den Newsletter an mögliche weitere Inte­ressentinnen und Interessenten weiterleiten. Wenn Sie Ihn direkt abonnie­ren oder nicht mehr erhalten wollen, schicken Sie uns bitte eine kurze Mail.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien eine erholsame Sommerzeit

Ihre Kathrin Dannenberg

 

 

Gedenken an die Toten – Verantwortung für die Zukunft

 

Geschätzt 500.000 Sinti und Roma fielen dem nationalsozialistischen Völkermord in ganz Europa zum Opfer. Unter ihnen waren Frauen, Männer und Kinder, die vom Sommer 1936 bis zu ihrer Deportation nach Auschwitz oder in andere Konzentrationslager im kommunalen Zwangslager in Berlin-Marzahn eingesperrt waren. Der Geburtsort vieler lag nicht selten in der damaligen Provinz Brandenburg. Vor diesem Hintergrund nehmen wir als Fraktion seit vielen Jahren an Veranstaltungen in Marzahn teil. In diesem Jahr vertrat Marlen Block die Fraktion.

Das Gedenken an die Errichtung des kommunalen Zwangslagers war schon immer mehr als nur Erinnern an die Verfolgung und den Widerstand der Sinti und Roma im Nationalsozialismus. In diesem Jahr war es ganz besonders, was wohl in erster Linie an den Rednerinnen und Rednern lag.

Petra Rosenberg, die Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg, sprach in ihrer Begrüßung von der Verantwortung für die Zukunft, die wir alle eingedenk der Toten tragen. Sie forderte ein parteiübergreifendes „Nie wieder“ – nicht nur in Worten, sondern durch Taten.

Dr. Mehmet Daimagüler, der erste Antiziganismus-Beauftragte einer deutschen Regierung, erinnerte daran, dass die Verfolgung und Ausgrenzung der Sinti und Roma nicht erst 1933 begann und auch nicht 1945 endete. Es gäbe heute noch achtzehnjährige Sinti, die staatenlos seien, weil ihren Großeltern in der NS-Zeit die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen wurde. An einem solchen Tag muss man über die Gegenwart reden, so Daimagüler, darüber, wie Deutschland heute mit geflüchteten Roma umgeht. So werden regelmäßig Menschen aus Deutschland nach Moldawien abgeschoben, darunter auch Roma. In Verantwortung Deutschlands für die Ermordung hunderttausender Roma forderte er ein Abschiebemoratorium für geflüchtete Roma.

Klaus Lederer von der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus betonte, dass die Bekämpfung von Antiziganismus nicht die alleinige Angelegenheit der Selbstvertretung der Minderheit sei, sondern von uns allen. Der von den Innenministern der EU-Staaten gerade ausgehandelte Asylkompromiss würde auch zu weiteren Abschiebungen von Roma in angeblich sichere Drittstaaten führen.

Die Gedenkrede hielt Deborah Hartmann, Leiterin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz. Die Tochter eines Überlebenden der Schoa erinnerte daran, dass Antisemitismus nach 1945 tabuisiert wurde, aber dennoch nie verschwunden sei – Antiziganismus hingegen zeigte sich trotz des Völkermordes an den Sinti und Roma ungehindert weiter. Sie drückte ihr Befremden darüber aus, dass es in der Berliner Koalition Pläne gibt, sich um die Austragung der Olympischen Spiele 2036 zu bewerben, ohne dass auf das Jahr 1936 Bezug genommen wird. Vor 100 Jahren missbrauchte Hitler die Olympischen Spiele für seine politischen Ziele – gleichzeitig wurden Sportlerinnen und Sportler aus politischen Erwägungen durch das Regime von der Teilnahme ausgeschlossen und viele Berliner Sinti auf die Rieselfelder bei Marzahn vertrieben.

Bereits im März 2023 hatte die Linksfraktion im Landtag als einzige Fraktion im Land an den 80. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma, die in Brandenburg geboren waren oder hier ihren Lebensmittelpunkt hatten, in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz erinnert.

 

Mehrsprachigkeitskonzept und wie jetzt weiter?

 

Kathrin Dannenberg / Foto: © Ben Gross

Mit der Beschlussfassung über den Landeshaushalt für die Jahre 2023 und 2024 war es eigentlich schon klar: Auch, wenn die Landesregierung ihr Mehrsprachigkeitskonzept vorlegt, wird sich in diesem Bereich der Mehrsprachigkeit auf absehbare Zeit dennoch nichts ändern.

Am 23. Februar präsentierte die Landesregierung ihr Mehrsprachigkeitskonzept dem Landtag. Zwei Jahre waren seit dem Beschluss des Parlaments, den unsere Fraktion trotz weitergehender Forderungen mittrug, vergangen. Eigentlich sollte mit der Umsetzung des Konzepts bereits im Jahr 2022 begonnen werden. In zwei Jahren und zudem mit wissenschaftlicher Unterstützung hätte die Landesregierung ein Dokument erstellen können, mit dem man die seit langem überfälligen qualitativen Veränderungen endlich hätte auf den Weg bringen können. Aber weit gefehlt!

Ja, auch wir sind froh, dass es das Bildungsministerium nach mehr als zehn Jahren geschafft hat, ein Mehrsprachigkeitskonzept vorzulegen. Aber die Selbstzufriedenheit, die im Ministerium und offensichtlich auch in der Koalition angesichts des Arbeitsergebnisses herrscht, können und wollen wir nicht teilen. Was ist ein Konzept wert, das nicht mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet wird und nur auf das Engagement von Lehrkräften und ehrenamtlich engagierten Menschen setzt? Nichts!

Das Hauptproblem des Konzepts ist, dass die Landesregierung sich mit der Einführung von drei Kategorien der Handlungsempfehlungen (zunächst?) ihrer Verantwortung für die Absicherung von spürbaren Veränderungen entzieht:

  • Die Umsetzung kurzfristiger Maßnahmen (bis zur Landtagswahl 2024) soll grundsätzlich ohne zusätzliche Mittel erfolgen.
  • Mittelfristige Maßnahmen (in der kommenden Wahlperiode)
  • und langfristige Maßnahmen (danach) werden nur dann umgesetzt, wenn finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Die Notwendigkeit einer solchen Bereitstellung scheint aber in der SPD-CDU-GRÜNE-Koalition zumindest umstritten. Vielleicht ist man sich aber sogar einig? Die GRÜNE Fraktion hat die Notwendigkeit zusätzlicher Finanzmittel für die Umsetzung des Konzepts bisher nie öffentlich thematisiert.

Europarat und Europäische Union haben bereits vor 20 Jahren die Aufgabe „Muttersprache plus zwei Sprachen“ auf die Agenda der Mitgliedstaaten gesetzt. Sprache ist mehr als ein Mittel des sprachlichen Austausches. Sprache dient dazu, in die Lebenswelten anderer Völker und Staaten „einzutauchen“, sie besser kennenzulernen, mit allen ihren Facetten. Sprache ist Völkerverständigung und dient dem Friedenserhalt.

Diese Dimension scheint Brandenburgs Regierung überhaupt nicht im Blick zu haben, sonst würde sie Veränderungen jetzt und hier auf den Weg bringen. Anstelle dessen beschönigt man im Konzept den erreichten Stand bei der Mehrsprachigkeit in Brandenburg. Das ist die eigentlich schlechte Nachricht für alle, die sich für die Sprachenvielfalt in unserem Land einsetzen.

Ungenügende Deutschkenntnisse, die die Brandenburger Schülerinnen und Schülern am Ende der Grundschule attestiert wurden, sowie schlechtes Englisch sind weit entfernt von tatsächlich gelebter Mehrsprachigkeit. Dies war eine der Botschaften, die die Experten in der Anhörung des Bildungs- und des Kulturausschusses an die Abgeordneten übermittelt haben. Was wird der Landtag daraus machen?

 

Antiziganismus genauso wie Antisemitismus bekämpfen

 

Im Sommer 2022 hat der Landtag die Bekämpfung von Antisemitismus und Antiziganismus im Rahmen einer umfangreichen Verfassungsänderung zum Staatsziel in Brandenburg erklärt. Fast auf den Tag genau ein Jahr später diskutierte das Parlament über die Einsetzung eines Beauftragten zur Bekämpfung von Antisemitismus. Grundlage war ein Gesetzentwurf aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD.

Bereits bei der Einbringung des Gesetzentwurfs hatte unser Fraktionsvorsitzender Sebastian Walter in einer gemeinsamen Presseerklärung mit den anderen Vorsitzenden der anderen Einreicher deutlich gemacht, worum es den LINKEN vor allem geht: NIE WIEDER sollen hierzulande Menschen verfolgt werden und ihr Leben lassen müssen, nur, weil sie anders sind als ihre Nachbarn, weil sie eine andere Religion, eine andere Herkunft oder Volkszugehörigkeit, eine andere sexuelle Orientierung oder eine Behinderung haben. Dazu braucht es gemeinsamer Anstrengungen von Politik und Zivilgesellschaft.

An die Verfassungsänderung anknüpfend hat unsere Fraktion zum Gesetzentwurf deshalb einen Änderungsantrag eingereicht. Wir wollen erreichen, dass der künftige Antisemitismusbeauftragte auch als Beauftragter zur Bekämpfung des Antiziganismus, des gegen Sintezze und Sinti sowie Romnja und Roma gerichteten Rassismus tätig wird. Dass heute so wenige Sinti und Roma in Brandenburg leben und dass die Wenigen, deren Großeltern und Eltern den Völkermord überlebten, sich immer noch scheuen, ihre Identität zu offenbaren, geschweige denn Straftaten bei der Polizei anzuzeigen – das alles hat mit dem NS-Völkermord zu tun. Genau deshalb braucht die Minderheit unseren Schutz und unsere Unterstützung. Wie beim Antisemitismus müssen Politik und Verwaltungen auch bei der Bekämpfung von Antiziganismus präventiv, begleitend und vorausschauend handeln.

Zu diesem Thema ist auf Vorschlag von Thomas Domres und Kathrin Dannenberg der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung Dr. Mehmet Daimagüler für den Herbst in den Ausschuss eingeladen. Wir hoffen sehr, dass wir in der Folge Mehrheiten für unseren Änderungsantrag erreichen können.

Rede von Sebastian Walter im Landtag

 
 

Platt spricht außerhalb von Prignitz und Uckermark keiner mehr …

 

Nach Sewekow (OPR) und Lunow (BAR) gibt es seit jüngsten auch in Fredersdorf (PM) ein zweisprachiges Ortseingangsschild.

Diesen Satz hörten die Mitglieder des Bildungs- und des Kulturausschusses sowie die interessierte Öffentlichkeit von einem Experten in einer Anhörung Anfang Juni. Nicht nur wir stutzen. Der Verein für Niederdeutsch hat in den letzten Jahren verstärkt Aufklärungsarbeit geleistet. Und so sollte eigentlich allgemein bekannt sein, dass 15 von 18 Landkreisen und kreisfreien Städten in Brandenburg zumindest in Teilen Bezüge zum Niederdeutschen haben. Vielleicht sollte der Experte mal den Bericht lesen, den die Landesregierung auf Anregung des Landtages mit Blick auf ein Brandenburger Niederdeutsch-Gesetz erstellt hat?

Ja, auch dieser Bericht kam mit erheblicher Zeitverzögerung. Er sollte ursprünglich bereits Ende 2021 vorliegen - damals gab es schon einen Gesetzentwurf, der mit den kommunalen Spitzenverbänden und dem Verein für Niederdeutsch diskutierte wurde.

Einen Gesetzentwurf legte die Landesregierung dem Parlament nicht vor: Aber wir haben Eckpunkte, aus denen die Regierung jetzt – mit einem Auftrag des Landtages ausgestattet  - bis zum Jahresende einen Gesetzentwurf erarbeiten und dem Landtag zuleiten soll. Der Vorschlag unserer minderheitenpolitischen Sprecherin Kathrin Dannenberg die weit vorangeschrittene Vorarbeit zu nutzen und den Gesetzentwurf bereits Ende August zu beenden und dann im Landtag mit der Diskussion über den Gesetzentwurf zu beginnen, fand in der Debatte leider keine Zustimmung bei der Koalition. Wir hoffen sehr, dass die bis zur Landtagswahl verbleibende Zeit ausreichend ist, um den Gesetzentwurf zu bearbeiten und mehrheitsfähig zu machen. Dass es Widerstand seitens der Kommunen und ihrer Verbände geben wird, ist wahrscheinlich. Das kennen wir aus der Diskussion über die Neufestlegung des angestammten Siedlungsgebietes der Sorben/Wenden. Dabei sind doch gerade die Kommunen diejenigen, die von einem Bekenntnis zum niederdeutschen Sprachgebiet profitieren könnten. Darauf hat jüngst auch das zuständige Kulturministerium mit seiner Broschüre „Plattdüütsch sichtboar moaken“ hingewiesen.

 

Brandenburg soll neue Verpflichtungen zur Sprachencharta übernehmen

 

Und noch ein minderheitenpolitisches Thema stand auf der Agenda des Landtages. ein Bericht mit dem etwas sperrigen Titel „Bericht zur Prüfung und Empfehlung zur Neuübernahme weiterer Verpflichtungen nach Teil III der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen“. Auch hier war ein Auftrag des Landtages vorausgegangen, den wir gemeinsam mit der Koalition unterstützt hatten.

Die Europäische Sprachencharta ist das grundlegende Dokument, mit dem sich europäische Staaten im Rahmen des Europarates zum Schutz von Regional- und Minderheitensprachen in ihren Heimatländern verpflichten. Mit der Ratifizierung des Vertragswerkes übernehmen die Staaten aus einem vorgegebenen Katalog ausgewählte Verpflichtungen. Die Bundesrepublik hat dies bezogen auf das Territorium des Landes Brandenburg für die Sprachen Niedersorbisch, Niederdeutsch und Romanes, die Sprache der Sinti und Roma, Ende der der 90er Jahre getan.

Nun sollte die Landesregierung prüfen, ob vor dem Hintergrund der Brandenburger Minderheitenpolitik der vergangenen mehr als 20 Jahre weitere Verpflichtungen übernommen werden können.

Die Landesregierung hat diese Frage bejaht und dem Landtag vorgeschlagen, jeweils 13 neue Verpflichtungen für Niedersorbisch und Niederdeutsch zu übernehmen. Wir teilen die in diesem Bericht gemachten Vorschläge vollinhaltlich. Deshalb haben wir uns dafür eingesetzt, dass der Landtag der Landesregierung in der Juni-Sitzung des Parlaments grünes Licht für weitere Verfahren auf Bundesebene gibt. Die Koalition war offensichtlich wieder mal noch nicht so weit. So kommt der Bericht jetzt wahrscheinlich erst im September auf die Tagesordnung des Landtages.

Mit der Zustimmung zum Vorschlag der Landesregierung würde Brandenburg einen Beitrag zur Stärkung der Minderheitenrechte in der Europäischen Union leisten. Die EU ist diesen Beitrag bisher immer noch schuldig geblieben, trotz der mehr als eine Millionen Unterschriften zur „Minority SafePack Initiative“!

 
 

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